Wenn der Arzt eine OP vorschlägt: Viele Eingriffe sind unnötig...

SteveJ

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Eigentlich ist eine Operation der letzte Ausweg, um Schmerzen zu lindern oder Schlimmeres zu verhindern.
Aber aufgepasst, wenn Euer Arzt zu einem Eingriff an Schulter, Rücken, Knie oder Hüfte rät!

Denn eine Auswertung der Techniker-Krankenkasse (TK, mehr als elf Millionen Versicherte) hat jetzt ergeben: Die Mehrzahl dieser Operationen ist unnötig! :oops:
Konkret:
  • 93 Prozent der Schulter-OPs
  • 88 Prozent der Rücken-OPs
  • 82 Prozent der Knie-OPs
  • 58 Prozent der Hüft-OPs

Wie kommt die Krankenkasse auf diese Zahlen? :unsure:

Es geht um Fälle, in denen sich Patienten, denen zu einer OP geraten wurde oder die vor einer OP standen, in einem Schmerzzentrum eine ärztliche Zweitmeinung einholten, die von einem chirurgischen Eingriff abriet.
Auch im Folgejahr wurde dann keine Operation bei der Krankenkasse abgerechnet.
Heißt: Mit anderen Methoden (z. B. Krankengymnastik), konnten die Schmerzen gelindert werden, die OP wäre laut Krankenkasse unnötig gewesen.

TK-Vorstandschef Jens Baas (57): "In Deutschland wird leider immer noch viel zu häufig operiert.
Man müsse jedoch unterscheiden:
Bei Knie-, Hüft- und Schulter-Eingriffen entscheiden sich die Ärzte häufig zu früh für eine (später aber wahrscheinlich notwendige) Operation.
Rückenoperationen sind sogar oft komplett entbehrlich.“


Die Zahlen zeigten den Reformbedarf der Krankenhausversorgung.

Grund für die vielen Operationen: Hierzulande werden die Krankenhäuser nach der Anzahl an Eingriffen von den Krankenkassen bezahlt!
Mehr Eingriffe bedeuten also mehr Geld für die oft klammen Kliniken.
Und das kann auf Kosten der Patienten gehen, weil jede Operation mit Risiken (u. a. Infektionen, Behandlungsfehler) verbunden ist.

Unterstützung kommt von Verbraucherschützern.
Christina Grote (64) von der Verbraucherzentrale NRW: "Die Ergebnisse der Studie bestätigen, dass eine Zweitmeinung sinnvoll ist.“
Sie sagt: "In Deutschland gilt die freie Arztwahl, deshalb haben Patientinnen und Patienten immer die Möglichkeit, bei einem Problem auch andere Ärzte zurate zu ziehen.“

Eine Studie des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2021 kam übrigens zu dem Ergebnis, dass seit der COVID-19-Pandemie ein deutlicher Rückgang bei planbaren Operationen wie der Implantation künstlicher Hüftgelenke (2021: minus 10 Prozent) oder der Entfernung der Gebärmutter bei gutartigen Erkrankungen (2021: minus 16 Prozent) zu verzeichnen ist.
Allerdings stellt das Berliner IGES-Institut fest, dass nur bei 10 Prozent der jährlich 70.000 Schilddrüsenoperationen ein wirklich bösartiger Befund vorliegt.

Das Sprichwort "Viel hilft viel" ist nicht immer ratsam. Schon gar nicht in der Medizin.
Das Berliner Institut für Gesundheits- und Sozialforschung (IGES) stellte sogar fest, dass bis zu 30 Prozent aller Medikamente, Untersuchungen und Operationen medizinisch nicht zwingend notwendig sind. :oops:

Was sagen die Kliniken?​

Gerald Gaß (61), Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft, widerspricht den Ergebnissen der TK-Studie:
"Kliniken gehen mit Operationen nicht leichtfertig um. Wenn es schonendere Alternativen gibt, werden diese in der Regel schon vorab im niedergelassenen Bereich geklärt.
Aber auch im Krankenhaus gibt es eine entsprechende Aufklärung.“


Gerade bei Rückenschmerzpatienten stehe die konservative Schmerztherapie als Alternative immer im Raum und werde vielfach von den Patienten bevorzugt, sagt Gaß.
"Deshalb ist der Rückschluss der Techniker-Kasse, dass bei allen anderen Patienten ohne dieses besondere Beratungsangebot eine Operation stattgefunden hätte, falsch.“

Kassenärzte-Chef Andreas Gassen (61): "Nicht immer ist eine OP Pflicht, das Leiden kann auch konservativ behandelt werden.“
ABER: "Der pauschale Vorwurf, in Deutschland werde zu viel operiert, ist nicht haltbar.“
Bei einigen Leiden müsse "zwangsläufig operiert werden, um z. B. einen Gelenkschaden zu beheben".

Die Krankenkassen machen sich angesichts der OP-Debatte für stärkere Spezialisierungen der Kliniken stark.
Florian Lanz, Pressesprecher des GKV-Spitzenverbandes:
"Unnötige Operationen sind auch ein Ergebnis von fehlender Spezialisierung bei den Krankenhäusern. Mehr Qualität heißt, nur dann zu operieren, wenn es wirklich notwendig ist.
Eine Krankenhausreform ist dann erfolgreich, wenn sie hilft, unnötige Operationen zu vermeiden.“


Die Krankenhausreform von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (61, SPD) sieht u. a. vor, dass Kliniken allein für das Vorhalten der Leistung vergütet werden.
Das soll den Anreiz senken, Operationen durchzuführen.

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Ich habe selbst so was vor ca. 4 Jahren erlebt, als ich übelste Rückenschmerzen bekam und zweimal kurz hintereinander ins Krankenhaus musste.
Beim ersten Mal war die Diagnose "Blockade des Iliosakralgelenks (ISG)" und wurde nach einer Linderung wieder nach Hause entlassen.
Beim zweiten Mal wurde auch ein MRT gemacht und festgestellt, dass ich einen Bandscheibenvorfall hatte. 😟
Noch am selben Nachmittag (es war ein Donnerstag) stellte sich prompt ein Arzt bei mir vor, der mich am Montag darauf bereits operieren wollte... :oops:
Er erklärte mir grob, was gemacht werden sollte, und dass ich dann eine gewisse Zeit außer Gefecht sein würde.
Ich lehnte die OP ab mit der Begründung, dass ich eine zweite Meinung wollte, und wurde auf eigenen Wunsch entlassen...

Der Orthopäde meines Vertrauens hat mir schließlich die MRT-Aufnahmen ausführlich erklärt und von einer OP abgeraten, weil diese auch keine Garantie auf permanente Schmerzfreiheit ist.
Er hat mir empfohlen, es solange wie möglich mit Krankengymnastik, regelmäßiger Bewegung und anderen konservativen Therapiemethoden zu versuchen.
Ich bin dann auch rel. schnell wieder komplett schmerzfrei geworden und hab zum Glück bis heute so gut wie keine Probleme mehr auch ohne eine OP. (y)

Quellen: Bild, TK, IKK, Verbraucherzentrale NRW, Deutsche Krankenhausgesellschaft
 
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