Zum 115. Geburtstag von Heinz Erhardt

SteveJ

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"Wie viel Geist muss ein Mensch haben, um sich derartig blöd anstellen zu können", sagte einmal ein Zuschauer nach einem Auftritt von Heinz Erhardt.
Diese "Blödheit", dieses Unbeholfene, Trottelige, auch Biedere seiner Rollen hat sich Erhardt akribisch erarbeitet - und doch hat er auf der Bühne improvisiert wie kein Zweiter.

Geboren wird Heinz Erhardt am 20. Februar 1909 in Riga als Kind baltendeutscher Eltern.
Diese trennen sich schon kurz nach seiner Geburt. Die Mutter zieht ins russische Petrograd, heute St. Petersburg, der Vater geht nach Hannover und reist als berühmter Kapellmeister durch ganz Deutschland.
Beide wechseln mehrfach die Partner.
"Nun, ich konnte mich nicht beklagen: Ich hatte so nach und nach drei Väter und ebenso viele Mütter", resümiert Erhardt später.

Er wächst bei seinen Großeltern auf, die in Riga ein großes Musikaliengeschäft führen. Doch mehrfach wird der Junge aus seiner Heimatstadt "entführt":
Mal lebt er bei seiner Mutter in Russland, dann bei seinem Vater in Deutschland. Mit den Ortswechseln kommen die Schulwechsel.
Eine der wenigen Konstanten seiner Kindheit ist das Klavier. Mit vier Jahren bekommt er ersten Unterricht, als Teenager komponiert er klassische Stücke.

Auf Wunsch seines Großvaters beginnt der 17-jährige Erhardt ein Volontariat bei einem Musikalienhandel in Leipzig. Parallel dazu - und mit größerer Leidenschaft - studiert er am Leipziger Konservatorium Klavier und Komposition.

Nach zwei Jahren muss er zurück nach Riga, um im großväterlichen Musikalienhandel einzusteigen. Doch mit diesem kann Erhardt nicht viel anfangen:
"In Wirklichkeit ist es völlig wurst, ob man mit Käse handelt oder mit Musik: Immer kauft man billig ein, um teuer zu verkaufen."
Lustlos verdingt er sich als Musikalienhändler, mit Herzblut tritt er als Alleinunterhalter auf:
Mit humorvollen Geschichten, Gedichten und Liedern, zu denen er sich selbst am Klavier begleitet, hat er erste Auftritte.

Jahrelang pendelt er zwischen Musikaliengeschäft und Bühne hin und her und lernt seine künftige Frau Gilda Zanetti kennen, mit der er bis an sein Lebensende zusammenbleibt.
Sie wird seine Managerin, sein Motor. Sie ist es auch, die ihn ermutigt, sein Glück in Berlin zu versuchen.

1938 reist Erhardt nach Berlin und stellt sich bei einer Künstleragentur vor.
Da der Kabarettist Peter Igelhoff gerade erkrankt ist, wird Erhardt als "Ersatz-Igelhoff" ans Theater nach Breslau geschickt, dort jedoch vom Publikum ausgebuht.
Erhardt ist derart enttäuscht, dass er sein Programm nur noch mit trauriger Miene vorträgt, hilflos, frustriert - und auf einmal sind die Leute hingerissen.
Das traurige, hilflose Gesicht wird zu seiner "Masche". Wieder in Berlin, erhält er ein Engagement im "Kabarett der Komiker" und macht sich dort einen Namen.
Frau, Tochter und Schwiegermutter ziehen 1939 zu ihm nach Berlin. An der Seite der berühmten Tänzerin La Jana tourt der Kabarettist durch das Deutsche Reich.

Erhardt betrachtet sich selbst als unpolitischen Menschen. Die Verbrechen der Nazis und den Krieg thematisiert er kaum.
Das Ziel, seine Karriere voranzutreiben, nimmt ihn ganz und gar ein. Doch im November 1941 kann er dem Krieg nicht mehr ausweichen:
Er wird eingezogen und als Klavierspieler im Musikkorps der Kriegsmarine Stralsund untergebracht. Später wird Erhardt nach Kiel versetzt.
Seiner Familie gelingt es, in Schleswig-Holstein, ganz in seiner Nähe, auf einem Gutshof unterzukommen.

"Heinz Erhardt bitte sofort nach Hamburg kommen - stopp - wichtige Inszenierung - stopp."
Im Sommer 1945, wenige Monate nach Kriegsende, erhält Erhardt von der Schauspielerin Grethe Weiser ein Telegramm.
Die Inszenierung kommt zwar nicht zustande, stattdessen aber knüpft Erhardt in Hamburg Kontakte zum NWDR, dem ersten Radiosender, dem die englische Besatzungsmacht eine Sende-Lizenz erteilt hat.

Dort beginnt Erhardt, die Radioreihe "So was Dummes" zu moderieren. Die Sendung wird zum Publikumsrenner, sogar die Briten hören gern zu:
"Sie sind der einzige Deutsche, über den wir lachen können, ohne dass wir ein Wort verstehen."

1947 gelingt Erhardt mit der Komödie "Lieber reich, aber glücklich" auch als Schauspieler der Durchbruch.
Er spielt fortan in Komödien, Lustspielen, tritt aber auch weiterhin solo auf, in Kabaretts und Varietés.
1948 zieht er mit seiner Familie in ein kleines Haus in Wellingsbüttel im Hamburger Norden, wo er zeitlebens wohnen bleibt.

Erhardt beginnt, in Kino- und Fernsehfilmen mitzuwirken.
Seine erste Hauptrolle hat er 1957 in "Der müde Theodor", darin spielt er einen Marmeladenfabrikanten.
Mit Komödien wie "Witwer mit 5 Töchtern" oder "Vater, Mutter und 9 Kinder", in denen er charmant-schusselige Familienväter darstellt, wird er zum Star.
In den 1960er-Jahren dreht er bis zu drei Filme pro Jahr, Filme wie "Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett" oder "Drei Mann in einem Boot".

Ein Erhardt-Fan schreibt ihm in der Zeitung einen offenen Brief:
"Bitte, spiel keinen dieser betulich-mittelmäßigen Filme mehr", und: "Du lieber, du sensibler Humorist, an was sollen wir uns denn halten, wenn selbst Du dem Terror der 'Publikumswirksamkeit' verfällst?"
Ob auf der Bühne oder auf der Leinwand, Erhardt verkörpert meist denselben Typus, den trottelig-liebenswerten Mann von der Straße.
Gern würde er mal einen Mörder spielen, aber seine Frau redet es ihm aus.

Der Rolle des fürsorglichen Familienvaters, die er in vielen Filmen spielt, kann Erhardt in der Realität nicht gerecht werden:
Durch seine vielen Tourneen und Engagements ist er nur selten zu Hause bei seinen vier Kindern.

"Ein guter Mann und Vater war ich nie", schreibt er in sein Erinnerungsalbum.
Erhardt ist ein Workaholic, er arbeitet eigentlich immer, auch aus Angst, dass der Erfolg nachlassen könnte.
Noch 1971 notiert er: "Ich arbeite fast pausenlos. Nicht, um Geld zu verdienen, seltsamerweise denke ich oft gar nicht daran, sondern weil ich arbeiten muss.
Denn in keinem Beruf wird man so schnell vergessen wie in meinem. Also kann ich mir keinen Urlaub erlauben und vor allem, ich darf nicht krank werden."


Ende der 1960er-Jahre mehren sich Schmerzen und Erschöpfungserscheinungen, die Erhardt ignoriert. Im Dezember 1971 erleidet er einen Schlaganfall. :eek:
Er überlebt, ist aber von nun an halbseitig gelähmt. Zunächst ist er auf einen Rollstuhl angewiesen, dann lernt er mit den Jahren wieder zu gehen.
Doch was ihn noch härter trifft: Das Sprachzentrum in seinem Gehirn ist beschädigt, er spricht bis zu seinem Tod kein einziges Wort mehr.
Leider konnte er nur noch fünf Wörter: Ja, Nein, Sonne, Danke und Scheiße.

"Diese siebeneinhalb Jahre waren für ihn die Hölle", schreibt seine Tochter Grit.
Der Schlaganfall selbst habe sich auch schon eher angekündigt.
Erhardt verlegte schon Jahre zuvor hier und das etwas, schrieb auch nachdenkliche Verse:
"Ich wälze nicht schwere Probleme und spreche nicht über die Zeit. Ich weiß nicht, wohin ich dann käme, ich weiß nur, ich käme nicht weit.“

Von seinen Fans wird er nicht vergessen, über 15.000 Zuschriften treffen bei ihm ein.
Aus Anlass seines 70. Geburtstages wird ihm das Große Bundesverdienstkreuz verliehen. (y)
Wenige Tage darauf, am 5. Juni 1979, stirbt er. :(
Auf dem Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf wird er beigesetzt. Seine Abschiedsworte hat er selbst geschrieben:

"Du warst ein Musiker und Dichter
ein Maler und Kaninchenzüchter
doch trotzdem war's dir nicht gegeben
den eignen Tod zu überleben."

Doch sein Ruhm hat seinen Tod überlebt: In den 1980er-Jahren wird Erhardt zur Kult-Figur, besonders unter jungen Leuten.
Auch heute noch ist seine Popularität ungebrochen. :)

Seine schönsten Gedichte:​

Hinter eines Baumes Rinde
wohnt die Made mit dem Kinde.

Sie ist Witwe, denn der Gatte,
den sie hatte, fiel vom Blatte.
Diente so auf diese Weise
einer Ameise als Speise.

Eines Morgens sprach die Made:
"Liebes Kind, ich sehe grade,
drüben gibt es frischen Kohl,
den ich hol. So leb denn wohl!
Halt, noch eins! Denk, was geschah,
geh nicht aus, denk an Papa!"

Also sprach sie und entwich. -
Made junior aber schlich
hinterdrein; und das war schlecht!
Denn schon kam ein bunter Specht
und verschlang die kleine fade
Made ohne Gnade. Schade!

Hinter eines Baumes Rinde
ruft die Made nach dem Kinde ...
Die Katze sitzt vorm Mauseloch,
in das die Maus vor kurzem kroch,
und denkt: "Da wart nicht lang ich,
die Maus, die fang ich!"

Die Maus jedoch spricht in dem Bau:
"Ich bin zwar klein, doch bin ich schlau!
Ich rühr mich nicht von hinnen,
ich bleibe drinnen!"

Da plötzlich hört sie - statt "miau" -
ein laut vernehmliches "wau-wau"
und lacht: "Die arme Katze,
der Hund, der hatse!

Jetzt muss sie aber schleunigst flitzen,
anstatt vor meinem Loch zu sitzen!"
Doch leider - nun, man ahnt's bereits -
war das ein Irrtum ihrerseits.

Denn als die Maus vors Loch hintritt -
es war nur ein ganz kleiner Schritt -
wird sie durch Katzenpfotenkraft
hinweggerafft! - -

Danach wäscht sich die Katze die Pfote
und spricht mit der ihr eignen Note:
"Wie nützlich ist es dann und wann,
wenn man 'ne fremde Sprache kann...!"
Ich muß das wirklich mal betonen:
Ganz früher waren die Zitronen
(ich weiß nur nicht genau mehr, wann dies
gewesen ist) so süß wie Kandis.

Bis sie einst sprachen: "Wir Zitronen,
wir wollen groß sein wie Melonen!
Auch finden wir das Gelb abscheulich,
wir wollen rot sein oder bläulich!"

Gott hörte oben die Beschwerden
und sagte: "Daraus kann nichts werden!
Ihr müßt so bleiben! Ich bedauer!"
Da wurden die Zitronen sauer.
Was wär ein Apfel ohne -Sine,
Was wären Häute ohne Schleim?
Was wär'n die Vita ohne -Mine,
Was wär'n Gedichte ohne Reim?
Was wär das E ohne die -llipse,
Was wär veränder ohne -lich?
Was wär ein Kragen ohne Schlipse,
Und was wär ich bloß ohne Dich?

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Es war einmal ein buntes Ding
ein so genannter Schmetterling.
Der flog wie alle Falter
recht sorglos für sein Alter.
Er nippte hier – er nippte dort
und war er satt, so flog er fort.

Flog zu den Hyazinthen
und schaute nicht nach hinten.
So kam´s, dass dieser Schmetterling
verwundert war, als man ihn fing.

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Ein Naßhorn und ein Trockenhorn
spazierten durch die Wüste.
Da stolperte das Trockenhorn,
und’s Naßhorn sagte: "Siehste!"

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Wenn dir ein Fels vom Herzen fällt,
so fällt er auf den Fuß dir prompt!
So ist es nun mal auf der Welt;
ein Kummer geht, ein Kummer kommt.

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Meine besten Witze hab ich erzählt,
das Publikum lächelte nur leicht gequält.
doch Heiterkeit ohne Maß und Ziel
erregte ich, als ich vom Fahrrad fiel.

Quellen: NDR, Geo, Bild, Heinz Erhardt - "Noch'n Gedicht"
 
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