"Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" - Der Weihnachts-Kultfilm wird 50

SteveJ

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Das Jahresende ist bei unseren tschechischen Nachbarn fest verplant:
Da sitzt ein ganzes Volk vor dem Fernseher und schaut Märchen. :)

Es soll Tschechen geben, die meinen, Weihnachtsfeiertage seien ohne diesen Film zwar möglich, aber sinnlos.
Das Märchen “Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ ("Tři oříšky pro Popelku") aus der gemeinsamen Werkstatt der DEFA und der tschechoslowakischen Filmstudios in Prag-Barrandov ist vielen sogar wichtiger als Weihnachtskarpfen und Kartoffelsalat. :oops:
Doch auch in Deutschland, in der Slowakei, in Österreich und in der Schweiz gehören die “Drei Haselnüsse“ jedes Jahr zum Fest wie Christbaum und Lebkuchen.

Die DEFA steuerte Schauspielgrößen wie Rolf Hoppe als König bei.
Traditionell wird meist der 1. November 1973 als offizielles Datum für die Premiere des heutigen Kultfilms genannt.
Nachforschungen des Nationalen Filmarchivs in Prag haben indes ergeben, dass der Film in Wirklichkeit erst am 16. November 1973 in den tschechoslowakischen Kinos anlief.
Eine Galapremiere für den sozialistischen Jugendverband SSM hatte es demnach bereits am 26. Oktober gegeben.
Unstrittig ist indes, dass die DDR-Premiere später am 8. März 1974 erfolgt ist.

Die “Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“, basierend auf einer frechen Bearbeitung des Grimmschen Märchens “Aschenputtel“ durch die Schriftstellerin Bozena Nemcova (1820-1862), ist für immer auch mit der damals zarte 20 Jahre jungen Hauptdarstellerin Libuše Safrankova (1953-2021) verbunden. 🥰

Gedreht wurde unter anderem in Schloss Moritzburg bei Dresden – mit Pavel Travniček (heute 73) als Prinz und die DEFA steuerte Schauspielgrößen wie Rolf Hoppe (1930-2018) als König bei.
Noch heute kann man auf der Treppe hinter dem Schloss, auf der achten Stufe von unten, den bronzenen Schuh von Aschenbrödel bewundern – oder anprobieren.
Vom 22. November 2023 bis 25. Februar 2024 findet dort auch eine Sonderausstellung zum Kultfilm statt.

Die beiden Stars des Films, Libuse Safránková und Pavel Trávnicek feierten mit dem Film ihren schauspielerischen Durchbruch.
Dabei war Safránková nur die zweite Wahl.
Die erste Wahl für die Rolle des Aschenbrödels war Jana Preissova, sie musste aber wegen ihrer Schwangerschaft passen.

Das ursprüngliche Drehbuch sah vor, dass Aschenbrödel über "blühende Wiesen" läuft und in einem "sonnendurchfluteten Bach" seine Wäsche reinigt.
Es war ein glücklicher Zufall, dass das ostdeutsche Studio DEFA, der deutsche Koproduktionspartner der Prager Barrandov-Studios, im Winter 1972/1973 freie Kapazitäten hatte.
In wenigen Tagen wurde das Drehbuch kurzerhand für eine andere Jahreszeit umgeschrieben.

Drehbuchautor František Pavlíček hatte in den 70er-Jahren eigentlich ein Berufsverbot und schrieb das Drehbuch unter einem Pseudonym.
Im Abspann war daher nicht sein Name zu lesen, sondern der von Bohumila Zelenková.
Nur Zelenková, Regisseur Vorlíček und der Produzent Ota Hofman wussten damals davon.

Regisseur Vaclav Vorliček (1930-2019) sollte Aschenbrödel und ihren Prinzen durch verschneite Landschaften reiten lassen.
In dem Winter, in dem gedreht wurde, fiel aber kaum Schnee.
Für die Außenaufnahmen rund ums Schloss musste also Kunstschnee her.
Fischmehl, Sägemehl und mit Schlittschuhen aufgerautes Eis mussten als Schneersatz herhalten. ;)

Erfrischend witzig geht es zu, und die Heldin ist sehr emanzipiert.
Selbst mit der bösen Stiefmutter wird sie fertig, wenn auch nur mit der Hilfe dreier Zaubernüsse.

Als deutsch-tschechische Koproduktion haben die deutschen Schauspieler Deutsch und die tschechischen Schauspieler Tschechisch gesprochen – und sich während der Dreharbeiten teilweise überhaupt nicht verständigen können...
Im Nachgang wurden die Sprachen dann nachsynchronisiert.
In der tschechischen Sprachfassung wurde auch Prinz Pavel Trávnicek von Petr Svojtka neu vertont – weil Trávnicek einen zu stark mährischen Akzent gehabt haben soll...

Da während der Dreharbeiten die Maul- und Klauenseuche ausbrach, durften die Filmpferde die Landesgrenzen nicht übertreten.
Deswegen gab es einige Pferde einfach zweimal.
Für die Reitszenen waren Doubles nötig:
Pavel Trávnícek, Víteszlav Jandák und Jaroslav Drbohlav hatten keine Reiterfahrungen, also bekamen alle drei einen Grundkurs.
Libuše Šafránková wurde von einer Stuntfrau ersetzt, als das Pferd über einen Baumstamm springen musste.
Die Szene, in der sie dem Prinzen das Pferd stiehlt, habe sie hingegen ganz allein gemeistert, da sie reiten konnte.
Beim Ritt auf der Rampe kam dann eine weitere Stuntfrau zum Einsatz.

Die Titelmelodie des Films hat absoluten Ohrwurmcharakter. :)
Komponist Karel Svoboda ("Biene Maja") spielte die Musik gemeinsam mit dem Symphonieorchester Prag ein.
Die deutsche Fassung ist dabei rein instrumental, im tschechischen Original ist Karel Gott zu hören.

2009 hat Ella Endlich eine deutsche Textfassung "Küss mich, halt mich, lieb mich" veröffentlicht.


Der Klassiker ist nur ein Beispiel für die Qualität der tschechoslowakischen Märchenfilme der Siebziger- und Achtzigerjahre.
Ihre Macher hatten zuvor auch großartige “richtige“ Filme verantwortet, Filme, die nach dem abrupten Ende des Prager Frühlings im Jahr 1968 nicht mehr gemacht werden durften.
So wichen die Künstler in die Märchenwelt aus... ;)

Die Sechzigerjahre waren die kreativsten in Barrandov gewesen.
Eine ganze Generation von jungen Regisseuren, unter anderen Milos Forman (“Amadeus“), räumte mit ihren Filmen der “Neuen Welle“ bei den großen Festivals Goldene Palmen und Oscars ab.

Doch mit der Freiheit war bald Schluss... 😔
Daran beteiligt waren auch die orthodoxen Kulturwächter aus der DDR Walter Ulbrichts, wo man die gesellschaftliche Sprengkraft der Filme aus dem “Bruderland“ fürchtete.
Einige der Regisseure gingen ins Exil, andere sattelten um ins Märchengenre.
“Aschenbrödel“ war der Auftakt zur Produktion vieler anderer Märchenfilme, in denen die aus der Nähe von Brünn (Brno) stammende Libuše Safrankova zu sehen war, darunter “Die kleine Meerjungfrau“ (1976) und “Prinz und Abendstern“ (1978).

Am 9. Juni 2021 trug ganz Tschechien Trauer, Safrankova starb mit nur 68 Jahren an den Folgen ihrer Lungenkrebserkrankung. 😢
Über ihren größten Erfolg hatte die Künstlerin nie so gern sprechen wollen – was auch mit ihrem generell zurückhaltenden Wesen zu tun hatte.
Einmal verriet sie aber, dass sie den Film zu Weihnachten noch nie gesehen habe.
Das liege an den Traditionen ihres katholischen Elternhauses. An diesem Fest bleibe in der Familie der Fernseher prinzipiell aus.

"Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" in diesem Jahr in der Weihnachtszeit zu verpassen, ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit.
Voraussichtlich 16 Mal wird der Film allein zwischen dem 1. Advent und dem 6. Januar 2024 im Fernsehen ausgestrahlt. :oops:
Und er steht natürlich auch in der ARD Mediathek. ;)

Quellen: Ippen-Digital, MDR, Berliner Kurier, Wikipedia
 
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der4te

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Hinzuzufügen wäre vielleicht noch, dass der Hauptdarsteller Pavel Travniček am 21.12. das Weihnachtskonzert des Dresdner Kreuzchors im Dynamostadion moderiert. (Quelle)
 
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