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Seit der Tötung Bin Ladens kriselt es zwischen Washington und Islamabad. Führende US-Politiker vermuten, dass der El-Kaida-Chef in Pakistan Unterstützung erhielt. Das komplizierteste diplomatische Verhältnis der Welt steht auf dem Prüfstand.
Wenn Politiker in den USA von „komplizierten Beziehungen“ zu anderen Staaten sprechen, meinen sie damit eine Art diplomatischen Ehekrach. Sie fühlen sich von einem Verbündeten betrogen, getäuscht und hintergangen – aber sie wissen zugleich, dass eine Trennung so gut wie unmöglich ist, weil sie besagten Verbündeten dringend brauchen.
Auf diesen Nenner lässt sich nun auch die amerikanisch-pakistanische Freundschaft bringen: „Wir haben ein kompliziertes aber wichtiges Verhältnis“, bilanzierte Jay Carney, der Sprecher von US-Präsident Barack Obama, am Dienstag auf der täglichen Pressekonferenz im Weißen Haus. Im Klartext soll das heißen: So wie im Moment kriselte es noch nie.
Seit ein Elite-Team in der Nacht zum Montag den seit fast zehn Jahren flüchtigen El-Kaida-Anführer Osama bin Laden in seinem Versteck im pakistanischen Abbottabad aufspürte und tötete, hängt der Haussegen schief. In Islamabad ist man verschnupft, weil es die US-Regierung nicht für nötig hielt, ihren „Partner im Kampf gegen den Terrorismus“ zuvor zu informieren, geschweige denn um Erlaubnis zu fragen, ob sie ihre Truppen überhaupt via Blackhawk-Helikopter ins Land entsenden dürfe.
Alleingang gefährdet Sicherheit
Schon droht man Washington mit Konsequenzen. Der Nacht-und-Nebel-Alleingang „unterminiert nicht nur die Kooperation (beider Staaten bei der Bekämpfung des Terrorismus)“, warnte das pakistanische Außenministerium den US-Präsidenten: „Er könnte auch den internationalen Frieden und die Sicherheit gefährden.“
Obamas CIA-Direktor Leon Panetta wiederum stellt Pakistans Präsident Asif Ali Zardari als treulosen Vasallen an den Pranger: „Wir haben befunden, dass der Versuch einer Zusammenarbeit mit den Pakistanern die Mission nur gefährdet hätte“, erklärte er dem US-Magazin „Time“. Der Grund: „Sie hätten womöglich die Zielpersonen gewarnt.“
Die Breitseite saß. Wenig später schoss Zardari in der „Washington Post“ zurück: „Diese grundlosen Spekulationen entsprechen nicht den Tatsachen“, empörte er sich: „Pakistan hat mindestens ebenso viele Gründe, wie jedes andere Land, El Kaida zu ächten. Der Krieg gegen den Terrorismus ist nicht Amerikas Kampf allein, sondern auch der Kampf Pakistans.“
Hatte Bin Laden Helfer in Pakistan?
So geht das jetzt hin und her. Die entscheidenden Fragen freilich sind nach wie vor offen: Wie war es eigentlich möglich, dass Bin Laden mit Anhang jahrelang unerkannt unter den Augen der pakistanischen Behörden in seinem eine Million Dollar teuren Anwesen in Abbottabad leben konnte, während ihn der Rest der Welt in einer Berghöhle am Hindukusch vermutete? Bekam er etwa pakistanische Hilfe? Wie gelang es ihm überhaupt, sein zweistöckiges Haus vor sechs Jahren mitten in dem wohlhabenden Wohnviertel errichten zu lassen, ohne dass es irgendjemandem auffiel? Und das auch noch in unmittelbarer Nähe einer Militärakademie? Hatte die pakistanische Regierung wirklich keine Ahnung, wer sich da in die Kleinstadt rund 50 Kilometer nördlich von Islamabad zurückgezogen hatte?
Unmöglich, glaubt Carl Levin, der demokratische Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im US-Senat: „Dagegen spricht schon die Tatsache, dass das gesamte Anwesen eigens für Bin Laden gebaut wurde.“ Auch Levins Parteifreundin Dianne Feinstein, die den Geheimdienstausschuss im Senat leitet, ist skeptisch: „Wenn die Pakistaner wirklich nichts wussten, dann frage ich mich, warum nicht? War es ihnen egal? Oder haben sie bewusst ihre Augen verschlossen?“
„Beziehungen zu Pakistan überdenken“
Demokraten-Senator Mark Udall aus Colorado bringt die Stimmung im Washingtoner Kapitol auf den Punkt: „Die pakistanische Regierung ist entweder inkompetent, oder sie steckt mit den Terroristen unter einer Decke. So oder so müssen wir unsere Beziehungen zu Islamabad überdenken.“ Bereits am heutigen Mittwoch wird es im Senat erste Anhörungen dazu geben.
Dabei soll es auch um die Hilfsleistungen der USA an Pakistan gehen: 1,5 Milliarden Dollar nicht-militärischer Unterstützung überweist Washington jährlich an seinen Zweckverbündeten. Zusätzliche 1,2 Milliarden Dollar will Obama allein 2012 für die Ausbildung pakistanischer Truppen entlang der Grenze zu Afghanistan bereitstellen.
Führende US-Politiker vermuten Hilfe für Bin Laden
„Wir müssen den Druck auf Islamabad erhöhen, unsere Zahlungen an harte Bedingungen knüpfen“, fordert Republikaner-Senatorin Susan Collins. Derweil kündigt Obamas Anti-Terrorchef John Brennan weitere Untersuchungen an: „Wir prüfen gerade, wie sich Bin Laden so lange mitten in Pakistan verstecken konnte und ob er dort irgendein Netz von Helfern hatte, das es ihm ermöglichte, unentdeckt zu bleiben.“ Führende Politiker sind überzeugt, dass das der Fall war.
Doch egal zu welchem Ergebnis die Ermittlungen auch führen werden: Abgesehen von rhetorischen Marschflugkörpern hat Obama wenig Spielraum für echte Repressalien gegenüber Zardari. „Pakistan mag ein Wildweststaat sein, aber wir müssen mit ihm auskommen, weil wir ihn wegen Afghanistan und wegen unseres Anti-Terror-Kriegs brauchen“, konstatiert Republikaner-Senator Saxby Chambliss.
Kompliziertestes Diplomatie - Verhältnis der Welt
Genauso sieht es auch die frühere demokratische US-Außenministerin Madeleine Albright: Die Supermacht sei wegen geostrategischer Zwänge fest mit Pakistan verbandelt, meint die Diplomatin, und dies nicht nur wegen El Kaida und der Taliban: „Die Pakistaner haben Probleme mit ihrem Militär und mit ihrem Geheimdienst. Sie haben Extremisten, Korruption und eine schwache Regierung. Und sie haben Atomwaffen. Damit sind sie ein äußerst wichtiges Land für uns.“
Allein aus diesem Grund müssten die USA jetzt alles tun, die gegenwärtige Krise gemeinsam mit ihren pakistanischen Alliierten zu lösen, fordert Albright: „Es ist wahrscheinlich das komplizierteste diplomatische Verhältnis der Welt. Und es wird sehr viel Arbeit erfordern.“ Immerhin habe Obama bereits einen ersten Schritt unternommen, indem er Zardari nach der gelungenen Bin-Laden-Operation dankte – auch wenn dieser nichts davon gewusst habe.
Der frühere stellvertretende CIA-Chef John McLaughlin dagegen sieht in den Ungereimtheiten um Bin Ladens Versteck auch eine Trumpfkarte, die Washington jetzt ausspielen könne: „Die Pakistaner sollten sich nach dieser Sache erst recht unter Druck fühlen, mit uns zu kooperieren.“
US-Demokrat Levin erhebt schwere Vorwürfe
Doch inzwischen wachsen auf US-Seite zusehends Zweifel, wie viel diese Kooperation eigentlich wert ist. So klagt etwa Demokraten-Senator Levin darüber, dass der pakistanische Geheimdienst ISI mehr oder weniger tatenlos zusehe, wie Pakistan von Extremisten als „Startrampe für Attacken auf US-Truppen in Afghanistan“ benutzt werde. Die ISI-Agenten würden entweder zur Seite schauen, oder – noch schlimmer – die militanten Gruppen sogar unterstützen.
Da bleibt Obama-Sprecher Carney nichts anderes übrig, als auf seiner Pressekonferenz im Weißen Haus erneut an das „komplizierte Verhältnis“ zwischen den USA und Pakistan zu erinnern: „Der Gedanke, dass diese Komplikationen existieren, ist ja nicht neu“, schiebt er eilig nach. Und so wie es aussieht, werden diese Komplikationen vorerst auch bleiben.
Gruss vom Gollum