Vor 80 Jahren: Der Feuersturm von Dresden

SteveJ

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Es ist 22.03 Uhr, später Abend, als der Abwurf der tödlichen Fracht beginnt.
800 britische Lancaster-Bomber stehen am 13. Februar 1945 über Dresden, und sie entfachen ein Inferno, das 37 Stunden lang wütet. :eek:
Das Elbtal leuchtet in weißen Lichtkaskaden, in drei Angriffswellen werfen die Briten bis zum Mittag des übernächsten Tages rund 2400 Tonnen Sprengbomben und fast 1500 Tonnen Brandbomben ab.
Der Feuersturm jagt eine kilometerhohe Rauchwolke in den Himmel.

“Da ging die Hölle los“, berichtet ein Augenzeuge, der Pfarrer Romuald Würstl.
“Um uns herum krachten die Sprengbomben, als ob unser Haus selbst getroffen würde.“

25 Minuten dauerten die Angriffe – länger nicht, weil den Maschinen sonst der Treibstoff für den Rückflug ausgegangen wäre.
Es reichte: Binnen einer halben Stunde begann ein Feuersturm.
Dabei schießt die von den Brandherden erhitzte Atmosphäre wie in einem Kamin in die Höhe, am Boden entsteht ein sauerstoffarmes Vakuum.
Das wiederum erzeugt eine Sogwirkung, die Frischluft in die Brandzentren zieht.

Der Sturm riss die Menschen um. In Dresden flohen Tausende auf die Elbwiesen und zum Großen Garten auf der anderen Flussseite.
Das sollte ihnen – wie auch den aus der gesamten Region herbeigeeilten Rettungskräften – zum Verhängnis werden... 🙈
Ab 1.16 Uhr griffen 529 Lancaster-Maschinen erneut an – dieser Angriffswelle waren die nach draußen geflohenen Menschen schutzlos ausgeliefert. :(
Die Strategie des “Doppelschlags“ hatte der berüchtigte britische Oberkommandierende Arthur Harris (“Bomber-Harris“) ersonnen.

Der spätere Pfarrer Würstl sah als 17-Jähriger, wie das Elternhaus ausbrannte.
Wenn er gefragt wurde, was sich ihm besonders eingeprägt habe, dann war es “das Bild einer Hand, die plötzlich vor mir auf dem Weg lag“.
Unweit davon befand sich “etwas an einem Baum, was wohl ein Mensch gewesen war“. Das seien Bilder, “die man ein Leben lang nicht loswird“.

Fast 7000 Tote verbrennt die Stadt Dresden in ihrer Not in einem Freiluftkrematorium mitten auf dem Alten Markt – es helfen Fachleute der SS, die wissen, wie man Leichen verbrennt – sie hatten es beim Judenmord gelernt... 😔

“Dresden ist das Synonym für den Luftkrieg“, sagt der Historiker Jörg Friedrich, dessen Buch “Der Brand“ vor Jahren Furore machte.
Seriöse Historiker gingen früher von 35.000 bis 40.000 Toten aus, doch es kursierten auch – in Umlauf gebracht von rechtsextremen Publizisten – weit höhere Zahlen, bis zu 250.000. :oops:
Eine Kommission unter Leitung des Militärhistorikers Rolf-Dieter Müller legte in einem Untersuchungsbericht indes 2010 plausibel dar, dass wahrscheinlich 22.000 bis höchstens 25.000 Menschen damals ums Leben gekommen sind – erstickt, verbrannt, von Trümmern erschlagen.

Die Kommission ließ sogar mehr als 450 mit Weltkriegsschutt gefüllte Keller freilegen und nach Leichenresten suchen – mit eher spärlichem Ergebnis:
Nur in vier Kellern stieß das beauftragte Landesamt für Archäologie auf Leichen – 18 fanden sich.
Die Historiker konsultierten sogar Brandexperten, ob ein Mensch “rückstandslos“ verbrennen kann – also mitsamt seinem Goldring oder Zahnersatz.

Ergiebigste Quelle waren Papiere der Friedhofsverwaltung. Die Bürokratie arbeitete auch im Luftkriegsgrauen zuverlässig.
Und so lagen in den Archiven der Dresdner Friedhöfe fast lückenlose Aufzeichnungen über die Dresdner Luftkriegsopfer.
Bereits in den 1930er-Jahren hatte die Stadtverwaltung – als hätte sie geahnt, was kommen könnte – die Registrierung von Luftkriegstoten akribisch geregelt.
1944 plante man in Dresden “größere Verluste“ an Menschenleben ein, wie es im Luftschutzlehrplanspiel hieß.
Für jede Person sollten mehrere Nachweise angelegt werden, es gab eine Eingangsliste und eine Eingangskartei, und sogar die Friedhofsflächen wurden schon im Voraus festgelegt.
Die Forscher ermittelten, dass zwei Drittel der Toten zwischen 18 und 70 Jahre alt waren; unter den Toten gab es fast 20 Nationalitäten; mehr als die Hälfte waren Frauen; jedes sechste Opfer war ein Kind.

Historiker Friedrich hatte in seinem Buch noch 40.000 Tote genannt, außerdem setzte er die Zahl der Menschen, die im Februar 1945 in der Stadt weilten, mit 800.000 bis eine Million sehr hoch an.
Das ist deswegen von Bedeutung, weil immer wieder versucht wurde, über die Aufstellung einer Bevölkerungsbilanz vor und nach den Angriffen auf die Opferzahlen rückzuschließen.
Letztlich kann die Zahl der Menschen, die sich im Februar 1945 in der Stadt aufhielten, aber nach Überzeugung der Kommission nicht seriös geschätzt werden.
Die verfügbaren Daten sind unzuverlässig und so präzise sie klingen – 566.735 Einwohner sollen es Ende 1944 gewesen sein – so unglaubhaft sind sie, denn wie sollte die Verwaltung mitten im Bombenkrieg zu so exakten Zahlen gelangen.

Umstritten bleibt indes die Annahme der Kommission, es habe keine sehr große Zahl an Flüchtlingen unter den Opfern gegeben.
Dass Dresden damals durch mehrere hunderttausend Flüchtlinge vor allem aus der Region Breslau quasi überschwemmt war, ist eine oft zu lesende Behauptung.
Die Kommission stützt sich auf Zeitzeugen, die erklärt hatten, die Flüchtlinge hätten keinesfalls das Straßenbild bestimmt.
Sie geht von einer Zahl zwischen einigen Zehntausend und maximal 200.000 aus.
Doch nur maximal drei Prozent der Toten konnten als Flüchtlinge klassifiziert werden, also “eine niedrige vierstellige Zahl“.

Friedrich hält die Arbeit des Müller-Teams für “sehr sorgfältig“.
Sein Argument: Etwa 200.000 deutsche Luftkriegstote gab es insgesamt in den Kriegsjahren, und es war ganz außergewöhnlich, wenn die Opferzahlen bei einem Angriff in den fünfstelligen Bereich eskalierten.
Nur in sechs Städten war dies der Fall, sagt Friedrich: neben Dresden in Hamburg, Kassel, Darmstadt, Pforzheim und Swinemünde.
100.000 Tote, so Friedrich, gab es in der Geschichte des Luftkriegs nur ein einziges Mal: als die Amerikaner im März 1945 die leicht brennbare, weil aus Holz gebaute Metropole Tokio bombardierten...

Das Inferno von Dresden "rettete" aber auch Leben: Einige hundert Juden in Dresden, teils schon zur Deportation bestimmt, tauchten im Desaster unter.
Einer von ihnen, der Romanistik-Professor Victor Klemperer, beschrieb in seinem Tagebuch, wie ihm seine Frau mit einem Taschenmesser den Judenstern vom Mantel schnitt.
Dann schoben sie sich durch die rauchenden Trümmer.
“Hier unten am Fluss, wo sich viele Menschen bewegten (…), staken im durchwühlten Boden massenhaft die leeren, eckigen Hülsen der Stabbrandbomben“, berichtete er.
“Aus vielen Häusern der Straße oben schlugen noch Flammen. Bisweilen lagen, klein und im Wesentlichen ein Kleiderbündel, Tote auf den Weg gestreut. Einem war der Schädel weggerissen, (…) einmal lag ein Arm da.“
Klemperer entwich nach Bayern, wo er die Befreiung erlebte.

Was aber folgt aus den Erkenntnissen? :unsure:
Der Luftkriegs-Experte Jörg Friedrich warnte schon 2010 davor, die Luftangriffe zu relativieren – nach dem Motto “halb so viele Tote sind doch halb so schlimm“.
In Deutschland mangele es an Einfühlungsvermögen für “die eigenen Eltern und Großeltern“.

Quellen: Wikipedia, Ippen-Digital
 
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