SteveJ
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Henry Kissinger bestimmt in den 1970er-Jahren die US-Außenpolitik maßgeblich mit.
1973 erhält der gebürtige Fürther sogar den Friedensnobelpreis.
Dabei ist das Wirken des überzeugten Transatlantikers nicht ganz unumstritten.
Auch im hohen Alter sorgt Henry Kissinger für Aufsehen und teilweise für große Empörung.
"Ich denke, dass wir bis Ende des Jahres über Verhandlungsprozesse und sogar tatsächliche Verhandlungen sprechen werden", sagte er in einem Fernsehinterview zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Zudem stünden die "die Chancen gut", dass Chinas Präsident Xi Jinping "meinen Anruf annimmt".
Das gelte auch für den russischen Machthaber Wladimir Putin, dem er in einem "Zeit"-Interview auch nicht alleine die Verantwortung für den Ukraine-Krieg zuschreibt.
Noch mehr beunruhigt Kissinger die sich hochschaukelnde Eskalation im amerikanisch-chinesischen Verhältnis.
"Wir befinden uns in einer klassischen Vorkriegssituation, in der keine Seite viel Spielraum für politische Zugeständnisse hat", äußert er im "Economist".
Obwohl Kissinger seit fast einem halben Jahrhundert die US-Außenpolitik nicht mehr in vorderster Reihe mitbestimmt, ist sein Rat dennoch gefragt.
Wenn es ihre Zeit erlaubt, suchen europäische Spitzenpolitiker Henry Kissinger auf, um sich mit ihm über außenpolitische Themen zu unterhalten beziehungsweise hinsichtlich der US-amerikanischen Innenpolitik unterweisen zu lassen.
So zum Beispiel auch Sigmar Gabriel nach seinem Amtsantritt als Bundesaußenminister Anfang Februar 2017.
"Kissinger ist bis heute ein guter Ratgeber für gute transatlantische Beziehungen zwischen Deutschland, Europa und die Vereinigten Staaten", sagte der SPD-Politiker damals bei seinem USA-Besuch.
Sogar Präsident Donald Trump, dem eigentlich eine gewisse Beratungsresistenz nachgesagt wird, traf sich vor seinem Amtsantritt mit Kissinger, um eine Unterrichtsstunde im Fach Außenpolitik zu nehmen.
Und das, obwohl sich der eingefleischte Republikaner Kissinger im Wahlkampf 2016 gegen den Immobilien-Milliardär ausgesprochen hatte.
Trumps Konkurrentin Hillary Clinton sei unter den Kandidaten diejenige, die für das "traditionelle, nach außen gerichtete, internationalistische Modell" der US-Außenpolitik stehe, begründet Kissinger seine Entscheidung. Isolationismus und Protektionismus sind nicht seine Sache.
Kissinger favorisiert eine gut funktionierende transatlantische Verbindung der Vereinigten Staaten mit Europa.
Es sind persönliche Erlebnisse des Sprosses einer jüdischen Familie, die sein späteres politisches Handeln bestimmen sollten, denn als Kind erlebt er die Hitler-Diktatur in Deutschland.
"Ich habe nicht so darunter gelitten wie meine Eltern", sagt er einmal.
Der am 27. Mai 1923 im fränkischen Fürth geborene Heinz Alfred Kissinger emigriert 1938 mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder in die Vereinigten Staaten, und aus Heinz wird Henry.
Verwandte der Kissingers, die in Deutschland bleiben, werden von den Nazis ermordet.
Trotz alledem bleibt Kissingers Verbundenheit zu seiner Heimatstadt - und zur Spielvereinigung Greuther Fürth, deren Erstliga-Heimspiel gegen den FC Schalke 04 er im hohen Alter von 89 Jahren auf der Tribüne beiwohnt. ⚽
Das Verhältnis Kissingers zu Deutschland bleibt eng, er hegt keine Rachegefühle - auch nicht bei seiner ersten Rückkehr als US-Soldat gegen Ende des Zweiten Weltkrieges.
Kissinger, den es erst nach Krefeld und danach ins hessische Bensheim verschlägt, leitet eine Abteilung zur Spionageabwehr, hilft beim Aufbau der Verwaltung, der Aufklärung von Kriegsverbrechen und treibt die Entnazifizierung mit voran.
Der junge Mann traut den Deutschen den Aufbau eines funktionierenden demokratischen Systems zu.
Kissingers Leben ist die Politik. Der Franke sollte es zum Außenminister bringen, mehr war für einen nicht in den USA Geborenen nicht möglich.
Und die Außenpolitik fasziniert bereits den jungen Kissinger, der an der Havard University in Cambridge/Massachusetts promoviert und später dort lehrt.
Helmut Schmidt, der Kissinger bis zu seinem Tod im November 2015 eng verbunden bleibt, verweist auf dessen Buch "Atomwaffen und Außenpolitik".
Für den von 1974 bis 1982 amtierenden Bundeskanzler ist es eines der bedeutendsten Werke zum Verständnis der Abschreckungsstrategie.
So ist es nur folgerichtig, dass Kissinger nicht nur einer Lehrtätigkeit nachgeht, sondern sich parallel dazu auch in die Untiefen der Politik begibt.
Er ist Berater des New Yorker Gouverneurs Nelson Rockefeller und beschäftigt sich intensiv mit Waffenkontrolle und Abrüstungsfragen.
Sein Wirken und seine Ratschläge bleiben auch im Weißen Haus nicht unbemerkt.
Die demokratischen Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson sowie ihr republikanischer Nachfolger Richard Nixon schätzen den Strategen.
An die Schalthebel der Macht kommt Kissinger aber erst nach Nixons Amtsantritt Anfang 1969.
Eigentlich hält er vom neuen Präsidenten nicht viel, dessen komplizierte Persönlichkeitsstruktur auch anderen Mitarbeitern zu schaffen macht.
Aber Nixon, der von Johnson den Vietnam-Krieg "erbt", hatte im Wahlkampf versprochen, die amerikanischen Soldaten aus Südostasien zurückzuholen und einen "Frieden mit Ehre" auszuhandeln.
Allerdings ist Nixon mit dieser Aufgabe völlig überfordert, zumal das kommunistische Nordvietnam gemeinsam mit den südvietnamesischen Vietcong die vom US-Präsidenten geforderte Akzeptanz des Thieu-Regimes in Saigon verweigert.
Kissinger wird Nixons Sicherheitsberater.
Seine Mitarbeiter mögen Kissinger nicht besonders, überhaupt hat er nur wenige Freunde.
"Er war ein harter und fordernder Chef. Er verlangte Perfektion", sagt Kissingers Mitarbeiter Brent Scowcroft, der später Sicherheitsberater der Präsidenten Gerald Ford und George Bush senior war.
Es ist die Zeit der Geheimdiplomatie, die Kissinger auf Nixons Anweisung betreiben muss.
Gleichzeitig forcieren die USA, um zum Ziel eines ehrenhaften Friedens in Vietnam zu kommen, die Luftangriffe auf Nordvietnam und weiten den Krieg auf Kambodscha aus.
Friedensverhandler und Konfliktverschärfer zugleich - Kissinger nennt es Realpolitik, die zum gewünschten Ergebnis führen sollte.
Der Nordvietnamese Le Duc Tho wird sein wichtigster Gesprächspartner. Die Verhandlungen führen 1973 zum Friedensvertrag von Paris.
Kissinger und Le Duc Tho erhalten dafür den Friedensnobelpreis, den der Mann aus Hanoi im Gegensatz zu Kissinger jedoch ablehnt, weil der Krieg noch nicht zu Ende ist.
Die USA scheiden schließlich aus dem Krieg aus, zwei Jahre später bricht das von Washington unterstützte Regime in Saigon zusammen und die Kommunisten übernehmen die Macht in ganz Vietnam.
Kissinger, der US-Außenminister William P. Rogers zum Statisten degradiert, dreht im Auftrag Nixons an noch größeren globalpolitischen Rädern.
So reist er 1971 im Geheimen nach China, um die Normalisierung der Beziehungen zum Reich der Mitte vorzubereiten.
Im Jahr darauf wird Nixon von Chinas greisem Machthaber Mao Zedong empfangen. Durch diesen spektakulären Besuch wird ein neues Kapitel in den amerikanisch-chinesischen Beziehungen aufgeschlagen.
Parallel dazu bereitet er den Gipfel Nixons mit dem sowjetischen Parteichef Leonid Breschnew vor, die 1972 in Moskau den Salt-I-Vertrag zur strategischen Rüstungsbegrenzung sowie den ABM-Vertrag zur Begrenzung strategischer Raketen unterzeichnen.
Kissingers Geheimdiplomatie hat aber auch das Ziel, die verfeindeten kommunistischen Mächte Sowjetunion und China gegeneinander auszuspielen.
Er spielt meisterhaft auf dieser diplomatischen Klaviatur. Aus jeder Situation das Maximale herausholen, Moral hat in der Realpolitik nicht zu suchen:
Das zeichnet Kissingers Handlungsweise dann auch als Außenminister unter Nixon und dessen Nachfolger Ford aus.
Seine Rolle beim Militärputsch gegen die sozialistische Allende-Regierung 1973 in Chile zieht sogar gerichtliche Vorladungen in mehreren Ländern nach sich.
Kissinger ignoriert sie.
Seinen Angaben zufolge ging der Plan zum Sturz von Präsident Allende von Nixon aus.
Allerdings sollen die CIA-Operationen in Chile mit Kissinger abgestimmt worden sein, denn der Geheimdienst unterstand dem Nationalen Sicherheitsrat und damit Kissinger.
Dieser hat es mittlerweile einem weiteren Brandherd zu tun. 1973/74 spielt Kissinger eine große Rolle in den Friedensbemühungen zwischen den Israelis und den arabischen Ländern.
Er handelt das Ende des Jom-Kippur-Krieges aus. Kissinger initiiert mit der Genfer Nahostkonferenz ein erstes direktes Zusammentreffen der verfeindeten Parteien.
Dies ist mit einer intensiven Reisetätigkeit zwischen den Konfliktparteien verbunden. Man spricht von Kissingers Pendeldiplomatie.
Kissinger ist zu dieser Zeit zweifellos eine Art Popstar der internationalen Politik.
Dies hilft ihm auch 1974, das unrühmliche Ende der Nixon-Ära durch die Watergate-Affäre politisch zu überleben.
Nach eigenen Angaben hat er mit Watergate nichts zu tun.
"Wie konnte das passieren?", fragt Kissinger öffentlichkeitswirksam.
Er muss erleben, wie sich sein Präsident um Kopf und Kragen redet und schlussendlich mit Schimpf und Schande das Weiße Haus verlassen muss.
Weil die Affäre Nixon politisch lähmt und fast zur Handlungsunfähigkeit verdammt, erlebt sein Außenminister einen weiteren Machtzuwachs.
Doch diese Phase ist nur von kurzer Dauer. Unter Präsident Ford bleibt Kissinger zwar Chef im State Department.
Allerdings kommt es mit wichtigen Personen aus Fords direkter Umgebung zu Spannungen.
Aus Kissinger wird eine "normale" politische Figur, die sich der Kabinettsdisziplin zu fügen hat. Der schwindende politische Einfluss schmerzt Kissinger.
Fords Wahlniederlage 1976 gegen den Demokraten Jimmy Carter bedeutet auch sein Ende als Außenminister.
Es wird ruhiger um Henry Kissinger. Von 1977 bis 1981 ist er Direktor der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations.
Er berät die Präsidenten Ronald Reagan und George W. Bush und gründet seine eigene Beratungsfirma in New York: "Kissinger Associates Inc."
Zu seinen Kunden gehören Konzerne aus aller Welt. Kissinger verdient viel Geld damit. Er ist Teilnehmer bei den sagenumwobenen Bilderberg-Konferenzen.
Dazu kommen gut dotierte Vorträge und Reisen, die ihn unter anderem auch immer wieder zu Helmut Schmidt nach Hamburg führen.
Über den ehemaligen Bundeskanzler sagt Kissinger an dessen Sarg: "Er war eine Art Weltgewissen."
Das kann er für sich selbst nicht in Anspruch nehmen.
Die Unterstützung der USA für Militärputsche und Diktaturen während seiner Amtszeit lassen Kissinger auch zur Hassfigur werden.
In den Augen seiner politischen Gegner ist er Friedensnobelpreisträger und Verbrecher in einer Person.
Er selbst hat sich nie große Mühe damit gegeben, auf seine Kritiker zuzugehen. Kissinger gibt auch eine Erklärung dazu:
"Der Realpolitiker glaubt an Werte, er weiß aber auch, was machbar ist."
Und auch mit 100 ist der Fußballfan aus Fürth ein gefragter Mann, wenn es um außenpolitische Einschätzungen geht:
"Als ich 15 war in Deutschland, wäre es mir nie in den Sinn gekommen, einmal Außenminister der USA zu werden und all diese Dinge zu tun.
Ich gehörte einer diskriminierten Minderheit an. Wenn mich irgendetwas auf diese Karriere vorbereitet hat, dann ist es, dass ich im Chaos groß geworden bin:
der Krieg, das Erleben sehr komplexer und gefährlicher Situationen.
Ich habe die Überzeugung entwickelt, dass dieses außergewöhnliche Schicksal eine Verpflichtung ist, mein Bestes zu geben."
Ich verneige mich zum 100. Geburtstag vor einem großen Staatsmann und einer welthistorischen Figur.
Quellen: Tagesschau, n-tv, BR24, Spiegel, Zeit, FAZ, SZ, Der Standard
1973 erhält der gebürtige Fürther sogar den Friedensnobelpreis.
Dabei ist das Wirken des überzeugten Transatlantikers nicht ganz unumstritten.
Auch im hohen Alter sorgt Henry Kissinger für Aufsehen und teilweise für große Empörung.
"Ich denke, dass wir bis Ende des Jahres über Verhandlungsprozesse und sogar tatsächliche Verhandlungen sprechen werden", sagte er in einem Fernsehinterview zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Zudem stünden die "die Chancen gut", dass Chinas Präsident Xi Jinping "meinen Anruf annimmt".
Das gelte auch für den russischen Machthaber Wladimir Putin, dem er in einem "Zeit"-Interview auch nicht alleine die Verantwortung für den Ukraine-Krieg zuschreibt.
Noch mehr beunruhigt Kissinger die sich hochschaukelnde Eskalation im amerikanisch-chinesischen Verhältnis.
"Wir befinden uns in einer klassischen Vorkriegssituation, in der keine Seite viel Spielraum für politische Zugeständnisse hat", äußert er im "Economist".
Obwohl Kissinger seit fast einem halben Jahrhundert die US-Außenpolitik nicht mehr in vorderster Reihe mitbestimmt, ist sein Rat dennoch gefragt.
Wenn es ihre Zeit erlaubt, suchen europäische Spitzenpolitiker Henry Kissinger auf, um sich mit ihm über außenpolitische Themen zu unterhalten beziehungsweise hinsichtlich der US-amerikanischen Innenpolitik unterweisen zu lassen.
So zum Beispiel auch Sigmar Gabriel nach seinem Amtsantritt als Bundesaußenminister Anfang Februar 2017.
"Kissinger ist bis heute ein guter Ratgeber für gute transatlantische Beziehungen zwischen Deutschland, Europa und die Vereinigten Staaten", sagte der SPD-Politiker damals bei seinem USA-Besuch.
Sogar Präsident Donald Trump, dem eigentlich eine gewisse Beratungsresistenz nachgesagt wird, traf sich vor seinem Amtsantritt mit Kissinger, um eine Unterrichtsstunde im Fach Außenpolitik zu nehmen.
Und das, obwohl sich der eingefleischte Republikaner Kissinger im Wahlkampf 2016 gegen den Immobilien-Milliardär ausgesprochen hatte.
Trumps Konkurrentin Hillary Clinton sei unter den Kandidaten diejenige, die für das "traditionelle, nach außen gerichtete, internationalistische Modell" der US-Außenpolitik stehe, begründet Kissinger seine Entscheidung. Isolationismus und Protektionismus sind nicht seine Sache.
Kissinger favorisiert eine gut funktionierende transatlantische Verbindung der Vereinigten Staaten mit Europa.
Es sind persönliche Erlebnisse des Sprosses einer jüdischen Familie, die sein späteres politisches Handeln bestimmen sollten, denn als Kind erlebt er die Hitler-Diktatur in Deutschland.
"Ich habe nicht so darunter gelitten wie meine Eltern", sagt er einmal.
Der am 27. Mai 1923 im fränkischen Fürth geborene Heinz Alfred Kissinger emigriert 1938 mit seinen Eltern und seinem jüngeren Bruder in die Vereinigten Staaten, und aus Heinz wird Henry.
Verwandte der Kissingers, die in Deutschland bleiben, werden von den Nazis ermordet.
Trotz alledem bleibt Kissingers Verbundenheit zu seiner Heimatstadt - und zur Spielvereinigung Greuther Fürth, deren Erstliga-Heimspiel gegen den FC Schalke 04 er im hohen Alter von 89 Jahren auf der Tribüne beiwohnt. ⚽
Das Verhältnis Kissingers zu Deutschland bleibt eng, er hegt keine Rachegefühle - auch nicht bei seiner ersten Rückkehr als US-Soldat gegen Ende des Zweiten Weltkrieges.
Kissinger, den es erst nach Krefeld und danach ins hessische Bensheim verschlägt, leitet eine Abteilung zur Spionageabwehr, hilft beim Aufbau der Verwaltung, der Aufklärung von Kriegsverbrechen und treibt die Entnazifizierung mit voran.
Der junge Mann traut den Deutschen den Aufbau eines funktionierenden demokratischen Systems zu.
Kissingers Leben ist die Politik. Der Franke sollte es zum Außenminister bringen, mehr war für einen nicht in den USA Geborenen nicht möglich.
Und die Außenpolitik fasziniert bereits den jungen Kissinger, der an der Havard University in Cambridge/Massachusetts promoviert und später dort lehrt.
Helmut Schmidt, der Kissinger bis zu seinem Tod im November 2015 eng verbunden bleibt, verweist auf dessen Buch "Atomwaffen und Außenpolitik".
Für den von 1974 bis 1982 amtierenden Bundeskanzler ist es eines der bedeutendsten Werke zum Verständnis der Abschreckungsstrategie.
So ist es nur folgerichtig, dass Kissinger nicht nur einer Lehrtätigkeit nachgeht, sondern sich parallel dazu auch in die Untiefen der Politik begibt.
Er ist Berater des New Yorker Gouverneurs Nelson Rockefeller und beschäftigt sich intensiv mit Waffenkontrolle und Abrüstungsfragen.
Sein Wirken und seine Ratschläge bleiben auch im Weißen Haus nicht unbemerkt.
Die demokratischen Präsidenten John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson sowie ihr republikanischer Nachfolger Richard Nixon schätzen den Strategen.
An die Schalthebel der Macht kommt Kissinger aber erst nach Nixons Amtsantritt Anfang 1969.
Eigentlich hält er vom neuen Präsidenten nicht viel, dessen komplizierte Persönlichkeitsstruktur auch anderen Mitarbeitern zu schaffen macht.
Aber Nixon, der von Johnson den Vietnam-Krieg "erbt", hatte im Wahlkampf versprochen, die amerikanischen Soldaten aus Südostasien zurückzuholen und einen "Frieden mit Ehre" auszuhandeln.
Allerdings ist Nixon mit dieser Aufgabe völlig überfordert, zumal das kommunistische Nordvietnam gemeinsam mit den südvietnamesischen Vietcong die vom US-Präsidenten geforderte Akzeptanz des Thieu-Regimes in Saigon verweigert.
Kissinger wird Nixons Sicherheitsberater.
Seine Mitarbeiter mögen Kissinger nicht besonders, überhaupt hat er nur wenige Freunde.
"Er war ein harter und fordernder Chef. Er verlangte Perfektion", sagt Kissingers Mitarbeiter Brent Scowcroft, der später Sicherheitsberater der Präsidenten Gerald Ford und George Bush senior war.
Es ist die Zeit der Geheimdiplomatie, die Kissinger auf Nixons Anweisung betreiben muss.
Gleichzeitig forcieren die USA, um zum Ziel eines ehrenhaften Friedens in Vietnam zu kommen, die Luftangriffe auf Nordvietnam und weiten den Krieg auf Kambodscha aus.
Friedensverhandler und Konfliktverschärfer zugleich - Kissinger nennt es Realpolitik, die zum gewünschten Ergebnis führen sollte.
Der Nordvietnamese Le Duc Tho wird sein wichtigster Gesprächspartner. Die Verhandlungen führen 1973 zum Friedensvertrag von Paris.
Kissinger und Le Duc Tho erhalten dafür den Friedensnobelpreis, den der Mann aus Hanoi im Gegensatz zu Kissinger jedoch ablehnt, weil der Krieg noch nicht zu Ende ist.
Die USA scheiden schließlich aus dem Krieg aus, zwei Jahre später bricht das von Washington unterstützte Regime in Saigon zusammen und die Kommunisten übernehmen die Macht in ganz Vietnam.
Kissinger, der US-Außenminister William P. Rogers zum Statisten degradiert, dreht im Auftrag Nixons an noch größeren globalpolitischen Rädern.
So reist er 1971 im Geheimen nach China, um die Normalisierung der Beziehungen zum Reich der Mitte vorzubereiten.
Im Jahr darauf wird Nixon von Chinas greisem Machthaber Mao Zedong empfangen. Durch diesen spektakulären Besuch wird ein neues Kapitel in den amerikanisch-chinesischen Beziehungen aufgeschlagen.
Parallel dazu bereitet er den Gipfel Nixons mit dem sowjetischen Parteichef Leonid Breschnew vor, die 1972 in Moskau den Salt-I-Vertrag zur strategischen Rüstungsbegrenzung sowie den ABM-Vertrag zur Begrenzung strategischer Raketen unterzeichnen.
Kissingers Geheimdiplomatie hat aber auch das Ziel, die verfeindeten kommunistischen Mächte Sowjetunion und China gegeneinander auszuspielen.
Er spielt meisterhaft auf dieser diplomatischen Klaviatur. Aus jeder Situation das Maximale herausholen, Moral hat in der Realpolitik nicht zu suchen:
Das zeichnet Kissingers Handlungsweise dann auch als Außenminister unter Nixon und dessen Nachfolger Ford aus.
Seine Rolle beim Militärputsch gegen die sozialistische Allende-Regierung 1973 in Chile zieht sogar gerichtliche Vorladungen in mehreren Ländern nach sich.
Kissinger ignoriert sie.
Seinen Angaben zufolge ging der Plan zum Sturz von Präsident Allende von Nixon aus.
Allerdings sollen die CIA-Operationen in Chile mit Kissinger abgestimmt worden sein, denn der Geheimdienst unterstand dem Nationalen Sicherheitsrat und damit Kissinger.
Dieser hat es mittlerweile einem weiteren Brandherd zu tun. 1973/74 spielt Kissinger eine große Rolle in den Friedensbemühungen zwischen den Israelis und den arabischen Ländern.
Er handelt das Ende des Jom-Kippur-Krieges aus. Kissinger initiiert mit der Genfer Nahostkonferenz ein erstes direktes Zusammentreffen der verfeindeten Parteien.
Dies ist mit einer intensiven Reisetätigkeit zwischen den Konfliktparteien verbunden. Man spricht von Kissingers Pendeldiplomatie.
Kissinger ist zu dieser Zeit zweifellos eine Art Popstar der internationalen Politik.
Dies hilft ihm auch 1974, das unrühmliche Ende der Nixon-Ära durch die Watergate-Affäre politisch zu überleben.
Nach eigenen Angaben hat er mit Watergate nichts zu tun.
"Wie konnte das passieren?", fragt Kissinger öffentlichkeitswirksam.
Er muss erleben, wie sich sein Präsident um Kopf und Kragen redet und schlussendlich mit Schimpf und Schande das Weiße Haus verlassen muss.
Weil die Affäre Nixon politisch lähmt und fast zur Handlungsunfähigkeit verdammt, erlebt sein Außenminister einen weiteren Machtzuwachs.
Doch diese Phase ist nur von kurzer Dauer. Unter Präsident Ford bleibt Kissinger zwar Chef im State Department.
Allerdings kommt es mit wichtigen Personen aus Fords direkter Umgebung zu Spannungen.
Aus Kissinger wird eine "normale" politische Figur, die sich der Kabinettsdisziplin zu fügen hat. Der schwindende politische Einfluss schmerzt Kissinger.
Fords Wahlniederlage 1976 gegen den Demokraten Jimmy Carter bedeutet auch sein Ende als Außenminister.
Es wird ruhiger um Henry Kissinger. Von 1977 bis 1981 ist er Direktor der US-Denkfabrik Council on Foreign Relations.
Er berät die Präsidenten Ronald Reagan und George W. Bush und gründet seine eigene Beratungsfirma in New York: "Kissinger Associates Inc."
Zu seinen Kunden gehören Konzerne aus aller Welt. Kissinger verdient viel Geld damit. Er ist Teilnehmer bei den sagenumwobenen Bilderberg-Konferenzen.
Dazu kommen gut dotierte Vorträge und Reisen, die ihn unter anderem auch immer wieder zu Helmut Schmidt nach Hamburg führen.
Über den ehemaligen Bundeskanzler sagt Kissinger an dessen Sarg: "Er war eine Art Weltgewissen."
Das kann er für sich selbst nicht in Anspruch nehmen.
Die Unterstützung der USA für Militärputsche und Diktaturen während seiner Amtszeit lassen Kissinger auch zur Hassfigur werden.
In den Augen seiner politischen Gegner ist er Friedensnobelpreisträger und Verbrecher in einer Person.
Er selbst hat sich nie große Mühe damit gegeben, auf seine Kritiker zuzugehen. Kissinger gibt auch eine Erklärung dazu:
"Der Realpolitiker glaubt an Werte, er weiß aber auch, was machbar ist."
Und auch mit 100 ist der Fußballfan aus Fürth ein gefragter Mann, wenn es um außenpolitische Einschätzungen geht:
"Als ich 15 war in Deutschland, wäre es mir nie in den Sinn gekommen, einmal Außenminister der USA zu werden und all diese Dinge zu tun.
Ich gehörte einer diskriminierten Minderheit an. Wenn mich irgendetwas auf diese Karriere vorbereitet hat, dann ist es, dass ich im Chaos groß geworden bin:
der Krieg, das Erleben sehr komplexer und gefährlicher Situationen.
Ich habe die Überzeugung entwickelt, dass dieses außergewöhnliche Schicksal eine Verpflichtung ist, mein Bestes zu geben."
Ich verneige mich zum 100. Geburtstag vor einem großen Staatsmann und einer welthistorischen Figur.
Quellen: Tagesschau, n-tv, BR24, Spiegel, Zeit, FAZ, SZ, Der Standard